Autor: Tobias Burkhardt
Momentan schauen alle wie gebannt auf das wohl meist diskutierte Tal der Welt: Silicon Valley. Von den einen wegen seiner Innovationskraft verehrt, und von den anderen wegen seiner Zerstörungswut geächtet. Es wird munter darüber gestritten, ob die digitale Kommunikation nun effizienzsteigernd ist oder nur vom Wesentlichen ablenkt. Ob ein iPhone eine Alltagserleichterung ist oder alles unnötig verkompliziert. Ob Facebook Freunde zusammenführt oder entzweit. Und ob Google der Nukleus des Neuen ist oder doch nur der Zerstörer von etablierten Geschäftsmodellen.
Wer sich Silicon Valley nähert, wird überrascht sein, wie klein, dörflich und ja, fast altmodisch hier alles vonstattengeht. Palo Alto, das Epizentrum des digitalen Wandels, bietet ein geradezu dörflich anmutendes Gemeinschaftsleben. Die großen Internetgiganten scheinen organisiert wie große Familien: Man hilft sich, vermittelt Kontakte und teilt offen seine Erfahrungen. Jeder scheint, trotz augenscheinlichen Wettbewerbs um Kapital, Talente und Ideen, alles über den anderen zu wissen. Kommuniziert wird nicht via E-Mail, Chat oder Social Media, sondern, fast immer Face-to-Face. Während die großen Technologie-Giganten die Welt immer schneller drehen lassen, kommunizieren deren Macher erstaunlich analog. Das Valley funktioniert nach seinen eigenen Regeln. Und wir können eine Menge davon lernen.
Die Digitalbranche von Palo Alto bis Berlin gleicht einer Seifenblase. Innerhalb der glänzenden Hülle zirkeln Strategen, Start-Ups und Designer um sich selbst. Versuchen Digitaldenker aber, außerhalb der Blase Firmen für die digitale Transformation zu begeistern, ernten sie meistens Unverständnis. Leere Blicke. Fragezeichen. Und in vielen Unternehmen kann man John Wayne unter dem Schreibtisch grummeln hören: „Das ist alles weit weg. Zu kompliziert. Zu teuer. Wir machen unser Business seit 30 Jahren so. Das wird auch weiterhin so laufen.“
Um die Fronten aufzubrechen, braucht es einen neuen Ansatz. Wir müssen lernen, Digitalisierung zu vermitteln. Silicon Valley zeigt, dass es dabei nicht um Technologisierung geht. Sondern um die Offenheit und Neugier, Dinge auszuprobieren. Um den Mut, Ideen zu testen, und in offenen Systemen zu arbeiten. Um ein neues Mindset. Das ist nichts, was man in zwei Tagesseminaren lernen kann. Um Digitalisierung zu verstehen, braucht es langfristige Ansätze. Aus diesem Grund haben wir die Shiftschool gegründet: Die erste, deutsche Akademie für digitale Transformation. Die vielleicht wichtigsten Erkenntnisse, die wir unseren Teilnehmern mitgeben, lassen sich direkt aus dem Silicon Valley ableiten: Lernen lernen, Vertrauen statt verkaufen, und der Wille, Strukturen aufzubrechen.
Um etwas zu verändern, muss man sich erst einmal eingestehen, dass man die Antwort nicht weiß. Der einfache Satz: „Ich weiß es nicht.“ ist der Ursprung allen Wissens. Die Voraussetzung, um Neues zu schaffen. Wir müssen begreifen, dass wir nicht mehr zu einer großen Karriere berechtigt sind, nur weil wir einmal studiert haben oder eine Ausbildung abgeschlossen haben. Wir müssen kontinuierlich lernen. Wir müssen wieder das Lernen lernen.
Es ist ein Irrglaube, dass Lernen mühsam und schwer ist. Das ehrliche Interesse an unserer Umwelt und der Drang, immer weiter dazu zu lernen, ist angeboren, wurde uns aber allmählich abgewöhnt. Wir beobachten, wie gerne Kinder lernen, neugierig sind, und sogar gerne zur Schule gehen. Es sind die Klausuren und Deadlines, Zeugnisse und Zukunftsängste, die Lernen zu dem umdefinieren, als was wir es heute wahrnehmen: Arbeit. Es liegt an uns, diese Neugier wiederzuentdecken. Um lebenslang zu lernen, müssen wir diese Entwicklung bewusst zurückdrehen. Wir müssen Inhalte über Noten stellen. An der Shiftschool etwa haben wir das klassische Notensystem durch Badges, kleine Medaillen, ersetzt. Wir verteilen Belohnungen statt Bestandsaufnahmen. Auch das Zeugnis sieht bei jedem anders aus: Individuelle Leistungen, eine gute Idee oder passionierter Einsatz werden entsprechend gewürdigt. Ich kann eine 1,0 in Informatik schreiben. Oder ich programmiere einen funktionsfähigen Roboter, den man sich online auf einem YouTube-Video anschauen kann.
Silicon Valley zeigt uns auch: Echte Netzwerke basieren auf Vertrauen, nicht auf Verkaufen. Nur wer begreift, das Geben seeliger denn Nehmen ist, und anderen wirklich ohne Hintergedanken hilft, hat langfristig Erfolg. Gerade in Deutschland begegnen wir Vertrauen oft mit einer sehr juristischen Haltung: Wir müssen alles vorweg begrenzen, und bedenken, was Schlimmes passieren kann. Wie schädlich diese Haltung ist, zeigt sich nirgends so deutlich wie in der Musikindustrie. Jahrelang haben Studios versucht, „Raubkopierer“ und Streams zu beseitigen, indem sie Musiktauschbörsen wie Napster verklagten. Langfristigen Erfolg hatten sie damit nicht. Stattdessen zogen Apple, Spotify und Deezer vorbei, und leiteten so einen Paradigmenwechsel ein.
Wer digitalen Wandel treiben will, muss miteinander arbeiten. Und dafür reicht es nicht, wenn man am Anfang des Jahres ein Buzzeword auf die Agenda setzt und anschließend Angestellte rund macht. Offenheit heißt, mit denen die Motivation besitzen, neue Wege zu gehen. Offenheit heißt, Projekte am Markt testen, anstatt sie in Innovationsplanspielen vor sich hin vegetieren zu lassen. Und Offenheit heißt auch, statt jede Faser des Unternehmens kontrollieren und beherrschen zu wollen, selbst auf Mitarbeiter zuzugehen. Nicht über lange Email-Verteiler, sondern klassisch: Face-to-Face.
Wir sind alle auf der Suche nach Antworten, aber uns fehlt der Mut uns zu verändern, neues auszuprobieren, und die Zukunft selbst zu gestalten. Gerade deswegen sollten wir uns wieder darauf besinnen, was uns Menschen eigentlich ausmacht. Alles was man dann noch tun muss, ist Menschen an einem Ort zusammenzubringen und gute Ideen werden entstehen – ganz von alleine. Silicon Valley zeigt, wie’s geht.
Text: Tobias Burkhardt
Illustration: Anna-Maria Köperl
Übersetzung: Toby Skingsley
Dieser Beitrag erschien zuerst am 29.03.2017 auf digtator.de, einem Medienprodukt von grasundsterne.